"Meidet
Menschen, die niedriger sind als ihr selbst, schweigt mit
Euresgleichen, redet mit denen, die über euch stehen." [4]
Damit
ist gemeint, dass die Kommunikation mit Menschen, die niedriger sind,
als man selbst, einfach nichts bringt: umgekehrt, dadurch kann man
nur Sprosse der eigenen Praxis vernichten. Statt zu spiritueller
Praxis können sie einen Menschen in Richtung irgendwelcher äußeren
Gegenstände führen. Das heißt, dass er in die Probleme, ins Karma
anderer Menschen involviert wird, anstatt sich mit der eigenen
spirituellen Entwicklung zu beschäftigen.
Wenn
der Mensch mit Seinesgleichen kommuniziert, dann gibt es im Grunde
nichts, worüber man sich unterhalten könnte. Da bleibt nur das
Schweigen übrig. Eine solche Kommunikation ist überflüssig,
deshalb ist es besser, darauf einfach zu verzichten, sich dadurch von
der Anhänglichkeit zu Seinesgleichen zu befreien und den Einbruch
der eigenen Praxis zu vermeiden. Und was "redet mit denen, die
über euch stehen" betrifft: nur solche Menschen können einen
in Richtung spiritueller Praxis, spiritueller Entwicklung führen.
Nur so kann die Schüler-Nachfolge eingehalten werden.
Wieso
heißt es "schweigt mit Euresgleichen"? Ich habe
tatsächlich Situationen erlebt, in welchen es am besten war zu
schweigen. Und es schien so, als ob es gerade in diesem Moment so
viel Gemeinsames gab... War das ein Hinweis darauf, dass der Mensch
mir gleich war?
Das
ist nicht unbedingt ein Hinweis darauf, dass ein Mensch einem anderen
gleich ist, und darüber hinaus muss das nicht unbedingt von
irgendwelchen Menschen abhängen. Man kann einfach Menschen begegnen,
mit denen es überhaupt keine Notwendigkeit gibt, sich über etwas zu
unterhalten. Damals konnten es Menschen sein, für die ausgerechnet
das Schweigen die beste Gesprächsweise war. Dies erlaubte denen,
sich in das Leben des Gegenübers nicht einzumischen. Dieses
Schweigen konnte Antwort auf eine Frage sein. Und genauso konnte das
für jeden auch eine Möglichkeit sein, in sich selbst einzutauchen
und sich gegenseitig nicht zu stören.
"Bewusstwerdung
eines Problems vernichtet das Problem." [5]
"Bewusstwerdung
eines Problems vernichtet das Problem" - das bedeutet lediglich,
dass der Mensch sich von der Anhänglichkeit zum Problem befreit.
Weil Anhänglichkeit zu etwas und Abhängigkeit von etwas nur dann
vorliegen können, wenn der Mensch ihnen "ja" sagt. Dabei
ist es nicht wichtig, ob er das passiv oder aktiv tut. Manchmal kann
man sich in Schweigen hüllen und dies wird als Einverständnis
gelten; manchmal kann man einfach nichts tun, wenn jemand mit dir
etwas tut - und dies wird auch Einverständnis sein. Man kann sowohl
aktiv als auch passiv zu etwas "ja" sagen, das heißt,
aktiv oder passiv - unwichtig wie - von etwas abhängen. Wenn der
Mensch jedoch von der Anhänglichkeit loslässt, von diesem Objekt
loslässt, bedeutet das, dass die Anhänglichkeit keine Macht mehr
über den Menschen hat.
Das
kann man mit jeder Gewohnheit vergleichen. Menschen haben eine
Vielzahl unterschiedlichster Gewohnheiten, sowohl kleiner als auch
großer, und oft bemerken sie nicht mal, dass sie etwas aus
Gewohnheit tun. Von außen mag das lächerlich, absolut
unverständlich und überflüssig erscheinen, aber der Mensch handelt
so, ohne dies zu merken. Aber wenn der Mensch plötzlich begreift,
dass eine Gewohnheit ihn regiert, heißt das, dass er sich von ihr
sofort befreit. Wenn der Mensch sieht, dass jemand oder etwas ihn
unterwirft, bedeutet das, dass er sich sofort davon zu befreien
beginnt. Wenn der Mensch sieht oder fühlt, dass etwas dauernd eine
Abhängigkeit schafft, ist er schon gleich in der Lage, sich von der
Abhängigkeit zu befreien. Denn wenn er diesen Zusammenhang versteht,
wenn er sieht, was das ist, heißt das, dass er schon eine
einsatzfähige Lösung besitzt, sich davon zu befreien. Deswegen
stellt Bewusstwerdung an sich den Schlüssel zur Lösung eines
Problems dar. Folglich, davon loszulassen, ist das Wichtigste. Und
bestes Loslassen liefert die Praxis der Konzentration und der
Meditation, weil sie es ermöglicht, den Verstand früh oder später
auf einem inneren Objekt zu sammeln. Das bedeutet, dass alle anderen,
äußeren Objekte vom Menschen losgelöst werden. Und er wird sie
losgelöst betrachten können, was bedeutet, dass er sehen wird, wenn
jemand oder etwas versuchen wird, ihn zu manipulieren.
Beispielsweise, wenn eine mentale Idee versucht, ihn zu steuern, oder
ein Gefühl versucht, den Menschen zu beherrschen und zu steuern,
betrachtet er alles losgelöst und ist in der Lage, dies zu bemerken.
Wobei er genau dann in der Lage ist, dies zu bemerken, wenn er im
Alltag praktiziert.
Ein
Mensch ist in der Lage, sein alltägliches Leben zu verändern. Viele
Sachen konnte er jahrzehntelang aus Gewohnheit tun. Der Mensch konnte
jahrzehntelang einen Arbeitsplatz haben, in einer Familie leben, mit
Freunden kommunizieren - und dann auf einmal bemerken, dass das alles
nicht das ist, was er gebraucht hat; dass das alles ihm aufgedrängt
worden ist und er hat sich damit stillschweigend einverstanden
erklärt. Er kann bemerken, dass er überhaupt eine völlig andere
Lebensweise braucht. Und er ist in der Lage, das zu ändern - falls
er das losgelöst anschaut, verstehst du? Ein solcher Mensch hat ab
da immer die Gelegenheit, dieses Problem für sich zu lösen. Wenn er
sieht, dass etwas beginnt, eine Abhängigkeit zu schaffen, kann er
sich bereits davon befreien. Gerade ein solcher Mensch wird die
richtige Lösung in dieser Situation finden. Er kann eine Vielzahl
von Varianten in Betracht ziehen, wie er weiter leben sollte, und
wenn er das alles losgelöst ansieht, wird er immer eine neue
Abhängigkeit bemerken können und verstehen, dass dies nicht "Seins"
ist. Aber wenn er beispielsweise einen Menschen trifft, mit welchem
man kommunizieren kann, ohne dabei in eine Abhängigkeit zu geraten,
wird er sofort sehen, dass das tatsächlich der Mensch ist, mit dem
man kommunizieren sollte. Genauso wird er sehen, dass ausgerechnet
dieser Arbeitsplatz, diese Lebensweise ihn nicht in Abhängigkeit
bringen - dann ist es seine Lebensweise und so sollte er auch leben.
Deswegen braucht ein solcher Mensch keinen äußeren Berater und er
braucht auch keine Ratschläge: er ist selbst in der Lage zu wählen
und alles absolut genau einzuschätzen, eben von seinen individuellen
Bedingungen ausgehend. Und wenn sich sogar danach etwas ändert, wird
dieser Mensch immer realisieren können: dies hier - ist nicht meins,
das schafft wieder eine Abhängigkeit - und wird wieder in der Lage
sein, jenes zu finden, was in keiner Weise seine eigene Freiheit
beschränken wird.
Eben
davon war zuvor auch die Rede. "Ein gleicher Mensch" ist
ein Mensch, die gleiche Kraft besitzt. Er ist nicht in der Lage,
einen Seinesgleichen zu beeinflussen: er hat keine größere Kraft
dazu. Eben deshalb schafft ein solcher Mensch keine Abhängigkeit von
sich, verstehst du? Der Mensch, der sich "höher" befindet
als du, ist gescheit genug, um keine Abhängigkeit zu schaffen; er
ist ausreichend stark, er braucht das einfach nicht, deshalb wird er
dies auch nicht tun. Und mit einem solchen Menschen hat es auch Sinn
zu kommunizieren. Aber der Mensch, der "niedriger" ist als
du, wird nur bestrebt sein, Abhängigkeit zu schaffen, zu
unterwerfen. Oder umgekehrt, er wird wollen, dass du sein Herr wirst
und er dein Diener. Jedoch wird das nur neues Abhängigkeitsverhältnis
schaffen, das Verhältnis "Herr-Diener".
[4]
Sergey Bugaev "Schwarzes und weißes Tantra", 1997, S. 62.
[5]
Sergey Bugaev "Schwarzes und weißes Tantra", 1997, S. 63.
Copyright © 2013 Sergey Bugaev und Vladimir Kuzin. Alle Rechte vorbehalten.
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