Sonntag, 19. Januar 2014

Ein Dialog über Die Weisheit (1): Konzentration und Tricks des Verstandes

"Wenn Du keine Zeit hast - beginne sofort mit der Meditation. Wenn du Zeit hast, kannst du mit der Meditation abwarten, lass sie selbst kommen". [1]

Warum kann einer, wenn er Zeit hat, warten, und jener, der keine Zeit hat, muss sofort meditieren?

Was bedeutet "keine Zeit"? "Keine Zeit" bedeutet, dass der Mensch etwas anderem eine größere Bedeutung beimisst. Er hält nicht die Meditation, sondern etwas anderes für wichtiger, und ist in diesem Moment nicht auf die Praxis gerichtet. 

 

Wie kann er aber sofort mit der Meditation anfangen, wenn er auf die Praxis nicht gerichtet ist? Er wird auch weiterhin keine Zeit dafür finden.

Das bedeutet nur, dass der Verstand des Menschen aufgeregt und zerstreut ist. Deshalb ist die Konzentration die einzige Methode, mit deren Hilfe er lernen könnte, den Verstand auf einem Objekt zu fokussieren. Deswegen wird allein schon das, dass der Mensch mit der Durchführung der Konzentration beginnt, den Verstand zunehmend - hier und sofort, ab dieser Sekunde - unter Kontrolle bringen.

Wenn du "keine Zeit" hast, findet der Verstand immer eine Ausrede. Er sagt: "Fang mit der Konzentration nicht an, du wirst dich damit später beschäftigen, widme die Zeit etwas anderem".

Und was soll man machen, wenn die Freizeit da ist? Warum sollte man dann warten?

Wenn die Zeit da ist, wird sich der Mensch mit der Konzentration nicht beschäftigen. Ja, er wird Zeit finden, aber... Stell dir vor, der Mensch hat Zeit eingeplant, angenommen, er hat auf das Wochenende gewartet. Jetzt hat er einen freien Sonntag und sagt: "Den ganzen Tag werde ich mich mit der Konzentration beschäftigen. Keiner ist zuhause - nur ich. Stille, Ruhe. Ich werde mich hinsetzen und mich den ganzen Tag konzentrieren". Was wird er denn machen? Er wird sich mit allen möglichen Dingen beschäftigen, nur nicht mit der Konzentration.

Warum?

Das ist dasselbe Hinauszögern, nur umgekehrt. Der Verstand schiebt alles auf die lange Bank. Er sagt: "Jetzt hast du keine Zeit. Du wirst auch keine Zeit am Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag haben. Aber am Sonntag wirst du Freizeit haben, da wirst du auch üben". Der Verstand handelt jedoch nach einem bekannten Prinzip: das ist dasselbe, als ob man ab Montag oder ab dem ersten des Monats mit dem Rauchen aufhören oder eine andere schädliche Gewohnheit loswerden wollte. Oder in der Silvester-Nacht sich versprechen würde, dass man "in diesem Jahr bestimmt aufhört"... Das ist etwas ähnliches, ein Trick des Verstandes.

Deshalb sollte man in dieser Situation nicht versuchen, Meditation durch etwas herbeizuführen. Denn die Meditation an sich ist ein spontaner Prozess. Diesen Zustand kann man nicht künstlich hervorrufen. Man kann nicht sagen "ich meditiere", sofort Meditation erleben und entscheiden, dass man ab dieser Minute Meditation hat. Das einzige, was man hier machen kann, ist in der Tat: zu sitzen und zu warten, bis der Zustand selbst, natürlich und spontan, kommt.

Wenn die Praxis jedoch ein bestimmtes hohes Niveau erreicht, dann verschwinden Beschränkungen, die durch die Einstellungen des Verstandes auferlegt worden sind und dazu führen, dass der Mensch alles mit Mühe macht. Denn der Mensch wendet in den Anfangsstadien der Konzentration Anstrengungen auf, oder? Er zwingt sich selbst. Wenn man ihn überredet, dass Konzentration gut ist, beginnt er sich selbst zu zwingen. Der Mensch sagt: "Man muss sich mit Konzentration beschäftigen, Konzentration wird mir helfen". Und jeden Tag setzt er sich hin und übt. Es fällt ihm schwer, es ist unverständlich, mühevoll, uninteressant, langweilig, aber der Mensch übt jeden Tag weiter. Das sind doch alles Anstrengungen des Verstandes. Es ist nur so, dass jemand oder etwas ihn inspiriert: Lehrer, Vorlesungen, spirituelle Bücher. Und der Mensch inspiriert sich immer weiter.

Ist das schlecht?

Das ist notwendig. Wie soll es anders sein? Man kann nicht sagen, dass es schlecht oder gut ist, das ist notwendig, weil der Mensch daran gewöhnt ist, nur mit verstandesmäßigen Einstellungen zu leben. Und um den Übergang zu etwas anderem vollzuziehen, ist auch eine verstandesmäßige Einstellung notwendig, die einen kräftigen Ruck nach vorne ermöglicht. Wenn der Mensch eine solche Einstellung hat, dann ist es die richtige Bestrebung, dann beginnt er zu praktizieren. Aber die richtige Bestrebung - und das muss man im Voraus betonen - das ist nicht nur eine verstandesmäßige Einstellung, das ist mehr als das. Die richtige Bestrebung ist das Bestreben mit allen Gefühlen, mit allen gefühlsmäßigen Energien. Darüber hinaus ist das auch eine mentale Einstellung mit Blick auf die Praxis, wenn der Mensch sich selbst inzwischen alles gut erklärt hat und sich auf diese Weise orientiert. Aber das wichtigste ist dennoch die innere Einstellung, wenn das gesamte Wesen des Menschen auch auf die Praxis gerichtet ist.

So, und wenn der Mensch für sich eine mentale Einstellung schafft, welche für die richtige Bestrebung notwendig ist, dann und nur dann wird er sich mit der Konzentration beschäftigen können, jeden Tag und ohne Unterbrechungen, regelmäßig, und sogar mit allmählich steigender Intensität. Und wenn der Mensch die Intensität steigert, wird er früh oder später beginnen, Meditationserfahrungen zu sammeln. Er wird täglich schwer üben, viele Schwierigkeiten erfahren, oft fallen und wieder zur Konzentration zurückkehren, und dann plötzlich und absolut unerwartet kommt dieser Zustand der Meditation. Er kommt im unpassendsten Moment, wenn der Mensch dieses Resultat schon gar nicht mehr erwartet. Wenn der Verstand des Menschen, durch ununterbrochene Konzentration erschöpft, in irgendeinem Moment seine Fesseln lösen wird und sie fallen werden - in einer absolut unpassenden Minute; wenn der Mensch es schafft, sich so weit innerlich zu sammeln, dass er von seinem Verstand unabhängig wird. Faktisch wird dies eine Entspannung bedeuten. Der Mensch hat alle seine mentalen Probleme vergessen und plötzlich hat sich, in irgendeiner Sekunde, die eiserne Umklammerung gelöst. Und in diesem Moment erfährt der Mensch den Zustand der Meditation. Wenn der Mensch hier nicht stehen bleibt, sondern die Praxis der Konzentration fortsetzt - das heißt, er setzt die Konzentration fort, auch wenn diese Zustände immer öfter kommen - wird er einen Erfolg erzielen.

Viele machen an dieser Stelle einen Fehler: sie praktizieren die Konzentration und entwickeln sie so weit, dass sie bereits anfangen, Meditationserfahrungen zu sammeln, und dann hören sie mit den Übungen auf. Aber sie haben ihren Verstand bereits in Schwung gebracht, all ihre Energien beschleunigt und bewegen sich innerlich gesammelt in einer Richtung. Deshalb kann der Mensch sogar eine beträchtliche Zeit keine Konzentration praktizieren, aber die Meditationserfahrungen werden dennoch jeden Tag auf spontane und natürliche Weise kommen.

Umgekehrt, es scheint mir, dass der Mensch alles vergessen und lassen wird, wenn er nicht mehr üben wird.

Hier geht es nicht ums Gedächtnis: dies ist keine Information. Wie wird er "vergessen"? Eine Erfahrung kann man nicht im Gedächtnis einprägen: das ist nicht etwas, was vergessen oder in Erinnerung behalten werden kann. Wenn jedoch ein Mensch, der seine Meditationserfahrungen zu sammeln beginnt, plötzlich mit den Meditationsübungen aufhört, wird dies faktisch den Abbruch dieser Praxisphase bedeuten. Warum? Was wird hier passieren? Die Energie, die in eine bestimmte Richtung beschleunigt wurde, beginnt unverzüglich, sich in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen. Das heißt, dass der Mensch jeden Tag allmählich immer zerstreuter wird. Und er wird sich so lange zerstreuen, bis er auf sein bisheriges Niveau abstürzen wird. Und dann wird er mit der Konzentrationspraxis wieder vom Nullpunkt anfangen müssen, obwohl die Anfangsphase in diesem Falle sicherlich schneller abarbeitet werden kann. Erstens, weil er schon Meditationserfahrungen hatte - das heißt, dass er inzwischen weiß, wohin man sich bewegen muss. Er hat schon einmal bestimmte Resultate erreicht und weiß, dass es hinter dieser schweren "Wand" der Konzentration Meditation gibt. Der Mensch weiß dies aus eigener Erfahrung. Dementsprechend wird er erfolgreich vorankommen. Und zweitens, infolge der vorherigen Übungen kommt die Energie im Menschen hoch und bleibt auf diesem Niveau, deshalb kann der Mensch sehr schnell zu seiner vorherigen Erfahrung zurückkehren und von der Stelle beginnen, wo er stehengeblieben ist.

 
[1] Sergey Bugaev "Schwarzes und weißes Tantra", 1997, S. 64.


Copyright © 2013 Sergey Bugaev und Vladimir Kuzin. Alle Rechte vorbehalten.

 

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